Empfangsbedürftige Willenserklärung: Wann ist sie wirksam?
Von: Verbraucherzentrale Bayern e.V.
In diesem Beitrag finden Sie
- Zugangsproblematik
- Rechtzeitigkeit des Zugangs
- Nachweis des Zugangs
- Tipps
Wann gilt die Willenserklärung als "zugegangen"?
Sind die Parteien nicht gleichzeitig anwesend, was in der Praxis häufig der Fall ist, so stellt sich die Frage, wann eine abgegebene Willenserklärung wirksam wird.
Dies ist nicht nur für Fragen des Vertragsschlusses entscheidend, sondern z. B. auch für die Frage, ob eine Kündigung rechtzeitig oder überhaupt ausgesprochen wurde oder ob eine Mahnung den Schuldnerverzug ausgelöst hat.
Nach § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB wird eine Willenserklärung unter Abwesenden wirksam, wenn diese dem Vertragspartner zugeht.
Nach herrschender Meinung und ständiger Rechtsprechung genügt es, dass die Erklärung in den Bereich des Empfängers gelangt ist und die Kenntnisnahme von ihm nach der Verkehrsauffassung auch erwartet werden konnte.
Rechtzeitigkeit des Zugangs
Beispiel: Der Verbraucher A beschließt am 29.04.2016 seinen Vertrag mit dem Fitnessstudio X zu kündigen. Im Vertrag befindet sich eine Klausel, wonach eine Kündigungsfrist von drei Monaten einzuhalten ist. Die Kündigung hat zum Monatsende zu erfolgen. A verfasst ein Kündigungsschreiben, in dem er die Kündigung zum 31.07.2016 erklärt. Das Schreiben wirft er am Samstag, den 30.04.2016 in den Bürobriefkasten des Studios. Der Betreiber des Fitnessstudios öffnet den Brief erst am darauffolgenden Montag.
Damit die Frist gewahrt ist, hätte die Kündigung dem X bis spätestens 30.04.2016 zugehen müssen. An diesem Tag wurde der Brief in den Briefkasten eingeworfen, die Kündigungserklärung ist damit in den Empfangsbereich des X gelangt. Nun kommt es auf die Verkehrsauffassung an, ob davon ausgegangen werden kann, dass X an diesem Tag auch Kenntnis von der Kündigung erlangt. Bei einem Fitnessstudio kann man unterschiedlicher Ansicht sein.
Man könnte einerseits sagen, dass ein Fitnessstudio auch am Wochenende seinen Geschäftsbetrieb aufrechterhält, weswegen damit zu rechnen ist, dass zumindest auch am Samstag die Eingangspost kontrolliert wird. Andererseits könnte es sein, dass die Bürokräfte am Wochenende nicht arbeiten und deswegen die Post vom Samstag - wie bei den meisten anderen Firmen auch - üblicherweise erst am Montag geöffnet wird. Das hängt natürlich auch von der Ausgestaltung im konkreten Einzelfall ab. Je nachdem käme man zu einem Zugang am 30.04.2016 oder erst am 02.05.2016, wobei in letzterem Fall die Kündigung zum 31.07.2016 nicht mehr zum Monatsende (April) erfolgt und damit verspätet wäre.
Wäre die Post erst am Dienstag vom Fitnessstudio X geöffnet worden, so hätte es sich trotzdem einen Zugang der Willenserklärung spätestens am 02.05.2016 zurechnen lassen müssen.
Auf die tatsächliche Kenntnisnahme kommt es eben nicht an, sondern auf die Verkehrsanschauung, also wann üblicherweise in vergleichbaren Fällen mit einer Kenntnisnahme gerechnet werden kann.
Wäre der letzte Tag der Kündigungsfrist nicht wie hier ein Samstag, sondern ein normaler Werktag, dann wäre die Erklärung noch an diesem Tag wirksam zugegangen, wenn der Verbraucher A sie zu einer Zeit eingeworfen hätte, bevor üblicherweise der Briefkasten entleert wird.
Nachweis des Zugangs
Neben der Frage, ob eine empfangsbedürftige Willenserklärung rechtzeitig zugegangen ist, besteht eines der größten Probleme in der Praxis darin, festzustellen, ob die Willenserklärung überhaupt zugegangen ist. Die Beweislast trägt dabei nach allgemeinen Grundsätzen derjenige, der sich auf den wirksamen Zugang beruft. Das ist immer derjenige, der die Willenserklärung abgibt.
Beispiel wie oben, allerdings gibt Verbraucher A bereits am 28.04.2016 sein Kündigungsschreiben zur Post. Normalerweise dauert eine Briefzustellung einen Tag, so dass das Kündigungsschreiben eigentlich am 29.04.2016 beim Fitnessstudio X angekommen sein müsste. Das Fitnessstudio behauptet, er habe das Schreiben erst am 02.05.2016 erhalten.
Obwohl Vieles dafür spricht, dass das Fitnessstudio das Schreiben bereits am Freitag oder Samstag erhalten hat, kann der Verbraucher dies nicht beweisen. Zwar könnte der Postbote als Zeuge benannt werden. Erfahrungsgemäß wird dieser sich aber aufgrund der Masse der zuzustellenden Sendungen kaum daran erinnern. Man kann den Fall noch weiterspinnen:
Beispiel wie zuvor. Das Fitnessstudio gibt aber zu, dass er bereits am 30.04.2016 Post von A erhalten hat. In dem Kuvert sei aber nur ein leeres Blatt Papier gewesen und keine Kündigungserklärung.
Auch in diesem Fall hat A schlechte Karten. Er muss beweisen, das X die Kündigungserklärung erhalten hat, was dieser bestreitet. A bräuchte also beispielsweise einen Zeugen, der gesehen hat, dass A das Kündigungsschreiben in das Kuvert gesteckt hat und diesen Brief zur Post aufgegeben hat.
Tipps: Wie kann man den Zugang einer Erklärung nachweisen?
Obige Beispiele zeigen, wie schnell der Zugang einer Erklärung zwischen zwei Vertragsparteien zum Streit führen kann. Deshalb sollte man bei der Abgabe wichtiger(!) Erklärungen, wie zum Beispiel einer fristgerechten Kündigung unbedingt darauf bedacht sein, dass man auch deren Zugang nachweisen kann. Hierfür bieten sich folgende Möglichkeiten an:
- Persönliche Übergabe mit Zeugen
Selbst wenn eine Schriftform für die Erklärung nicht vorgesehen ist, empfiehlt es sich, ein entsprechendes Schreiben aufzusetzen. Dieses sollte man dem Empfänger unter Beisein eines Zeugen übergeben. Auf diese Weise lässt sich der Zugang einer Willenserklärung einwandfrei nachweisen. Es ist auch möglich, das Schreiben dem Zeugen auszuhändigen, damit dieser es persönlich übergibt.
- Einschreiben/Rückschein
Müssen größere Distanzen überwunden werden, so empfiehlt sich die Versandart per Einschreiben mit Rückschein.
In diesem Fall muss der Empfänger dem Postboten auf dem Rückschein quittieren, dass er das Einschreiben erhalten hat. Dennoch sollte man einen Zeugen dafür haben, dass in dem Kuvert auch das entsprechende Schreiben enthalten war. Am besten bittet man also jemanden, das Schreiben in das Kuvert zu stecken und bei der Post aufzugeben. Das Problem bei dieser Versandart ist, dass der Empfänger die Annahme des Einschreibens verweigern kann. In diesem Fall liegt kein wirksamer Zugang vor.
- Einwurfeinschreiben
Als Alternative empfiehlt sich deswegen bei hartnäckigen Vertragspartnern das Einwurfeinschreiben.
Bei dieser Art der Zustellung vermerkt der Postbote auf einer Urkunde Datum und Uhrzeit des Einwurfs in den Briefkasten und bestätigt dies mit seiner Unterschrift. Mit dieser Urkunde sollte ein Zugangsnachweis möglich sein, wobei hier wiederum die Verkehrsanschauung zu beachten ist. Muss eine Frist eingehalten werden, so kommt es bei Wochenend- und Feiertagen in der Regel erst zu einem Zugang am nächsten Werktag. Auch bei einem Einwurfeinschreiben empfiehlt es sich jedoch wie beim Einschreiben mit Rückschein, einen Zeugen dafür zu haben, dass das entsprechende Schreiben in das Kuvert gegeben wurde.
- Mehrfache Versendung
Nur wenn von dem Zugang der Willenserklärung wichtige Rechtsfolgen abhängen, sollte man sich der oben beschriebenen Formen bedienen. Eine gute Möglichkeit, Vertragspartnern, die den Zugang bestreiten "den Wind aus den Segeln zu nehmen", besteht darin, Schriftverkehr parallel auf verschiedenen Wegen zu versenden, z. B. vorab per Fax (Sendebericht aufheben), dann mit der Post und zusätzlich per E-Mail. Wer dann noch bestreitet, ein Schreiben erhalten zu haben, wird irgendwann unglaubwürdig. Allerdings: Einen echten Zugangsnachweis erhält man damit nicht.
Der Freistaat Bayern stellt Ihnen auf dieser Website unabhängige, wissenschaftsbasierte Informationen zum Verbraucherschutz zur Verfügung.
Einzelfallbezogene Rechtsauskünfte und persönliche Beratung können wir leider nicht anbieten. Auch dürfen wir Firmen, die sich wettbewerbswidrig verhalten, nicht selbst abmahnen.
Sollten noch Fragen zu Ihrem konkreten Sachverhalt verbleiben, wenden Sie sich bitte an die unter Service genannten Anlaufstellen.
Alle Artikel zum Thema
Verbraucherverträge
- Das "Kleingedruckte": Allgemeine Geschäftsbedingungen
- Anfechtung von Verträgen: Gründe, Voraussetzungen, Fristen
- Wie muss ein Vertrag aussehen? Formvorschriften per Gesetz
- Fristen bei Verträgen: Kündigung, Widerruf, Verjährung
- Was bedeutet "Geschäftsfähigkeit"?
- Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften bei Verträgen
- Vertragslösung durch Kündigung
- Nichterfüllung im Vertrag: Wenn die Leistung ausbleibt
- Wann kann man von einem Vertrag zurücktreten?
- Schlechtleistung im Vertrag: Der Nacherfüllungsanspruch
- Was bedeutet Sittenwidrigkeit von Verträgen?
- Der Vertrag - Einführung und Übersicht
- Welche Arten der Pflichtverletzung gibt es bei Verträgen?
- Schuldnerverzug: Wann eine Mahnung gilt und was sie kostet
- Was gilt beim Widerruf von Verträgen?
- Widerrufsbelehrung: Form und Inhalt
- Empfangsbedürftige Willenserklärung: Was ist das?
- Wie kommt ein Vertrag zustande?
- Der Kaufvertrag: Abschluss, Haftung, Pflichten
- Der Werkvertrag: Wichtige Regelungen und Tipps
- Der Dienstvertrag
- Rechtsinformationen in verschiedenen Sprachen