Empfangsbedürftige Willenserklärung: Wann ist sie wirksam?
Von: Verbraucherzentrale Bayern e.V.
In diesem Beitrag finden Sie
- Wann gilt die Willenserklärung als "zugegangen"?
- Welche Frist gilt für den "Zugang"?
- Nachweis des Zugangs
- Tipps
Wann gilt die Willenserklärung als "zugegangen"?
Sind die Parteien nicht gleichzeitig anwesend, was in der Praxis häufig der Fall ist, so stellt sich die Frage, wann eine abgegebene Willenserklärung wirksam wird.
Dies ist nicht nur für Fragen des Vertragsschlusses entscheidend, sondern z. B. auch für die Frage, ob eine Kündigung rechtzeitig oder überhaupt ausgesprochen wurde oder ob eine Mahnung den Schuldnerverzug ausgelöst hat. Werden Willenserklärungen am Telefon oder während einer Videokonferenz abgegeben, gelten sie trotz der fehlenden gleichzeitigen körperlichen Anwesenheit der Personen nicht als Willenserklärung unter Abwesenden.
Nach § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB wird eine Willenserklärung unter Abwesenden wirksam, wenn diese der/dem Vertragspartner/-in zugeht. Hat der/die Empfänger/-in die Erklärung tatsächlich zur Kenntnis genommen, ist in diesem Moment der Zugang erfolgt.
Nach herrschender Meinung und ständiger Rechtsprechung genügt es jedoch auch, dass die Erklärung in den Bereich der Empfängerin oder des Empfängers gelangt ist und die Kenntnisnahme von ihr/ihm auch erwartet werden konnte. Eine tatsächliche Kenntnisnahme ist dann nicht mehr nötig.
Welche Frist gilt für den Zugang?
Beispiel: Der Verbraucher A beschließt am 29.04.2022 seinen Vertrag mit dem Fitnessstudio X zu kündigen. Im Vertrag befindet sich eine Klausel, wonach eine Kündigungsfrist von einem Monaten einzuhalten ist. Die Kündigung hat zum Monatsende zu erfolgen. A verfasst ein Kündigungsschreiben, in dem er die Kündigung zum 31.05.2022 erklärt. Das Schreiben wirft er am Samstag, den 30.04.2022 in den Bürobriefkasten des Studios. Der Betreiber des Fitnessstudios öffnet den Brief erst am darauffolgenden Montag, den 02.05.2022.
Um die Frist zu wahren, hätte die Kündigung dem Fitnessstudio X bis spätestens 30.04.2022 zugehen müssen. An diesem Tag wurde der Brief in den Briefkasten eingeworfen, die Kündigungserklärung ist damit in den Empfangsbereich von X gelangt. Nun kommt es auf die Verkehrsauffassung an, ob davon ausgegangen werden kann, dass X an diesem Tag auch Kenntnis von der Kündigung erlangt. Bei einem Fitnessstudio kann man unterschiedlicher Ansicht sein.
Man könnte einerseits sagen, dass ein Fitnessstudio auch am Wochenende seinen Geschäftsbetrieb aufrechterhält, weswegen damit zu rechnen ist, dass zumindest auch am Samstag die Eingangspost kontrolliert wird. Andererseits könnte es sein, dass die Bürokräfte am Wochenende nicht arbeiten und deswegen die Post vom Samstag - wie bei den meisten anderen Firmen auch - üblicherweise erst am Montag geöffnet wird. Das hängt natürlich auch von der Ausgestaltung im konkreten Einzelfall ab. Je nachdem käme man zu einem Zugang am 30.04. oder erst am 02.05.. In letzterem Fall wäre die Kündigung zum 31.05.2022 nicht mehr zum Monatsende (April) erfolgt und damit verspätet.
Wäre die Post erst am Dienstag vom Fitnessstudio X geöffnet worden, so hätte es sich trotzdem einen Zugang der Willenserklärung spätestens am 02.05. zurechnen lassen müssen.
Auf die tatsächliche Kenntnisnahme kommt es eben nicht an, sondern auf die Verkehrsanschauung, also wann üblicherweise in vergleichbaren Fällen mit einer Kenntnisnahme gerechnet werden kann.
Wäre der letzte Tag der Kündigungsfrist nicht wie hier ein Samstag, sondern ein normaler Werktag, dann wäre die Erklärung noch an diesem Tag wirksam zugegangen, wenn der Verbraucher A sie zu einer Zeit eingeworfen hätte, bevor üblicherweise der Briefkasten entleert wird.
Nachweis des Zugangs
Neben der Frage, ob eine empfangsbedürftige Willenserklärung rechtzeitig zugegangen ist, besteht eines der größten Probleme in der Praxis darin, festzustellen, ob die Willenserklärung überhaupt zugegangen ist. Die Beweislast trägt dabei nach allgemeinen Grundsätzen derjenige, der sich auf den wirksamen Zugang beruft. Das ist immer derjenige, der die Willenserklärung abgibt.
Im Beispiel oben gibt Verbraucher A sein Kündigungsschreiben diesmal zur Post und das bereits am 28.04.2022. Normalerweise dauert eine Briefzustellung einen Tag, so dass das Kündigungsschreiben eigentlich am 29.04. beim Fitnessstudio X angekommen sein müsste. Das Fitnessstudio behauptet, es habe das Schreiben erst am 02.05. erhalten.
Obwohl Vieles dafür spricht, dass das Fitnessstudio das Schreiben bereits am Freitag oder Samstag erhalten hat, kann der/die Verbraucher/-in dies nicht beweisen. Zwar könnte der Postbote oder die Postbotin als Zeuge/Zeugin benannt werden. Erfahrungsgemäß wird dieser sich aber aufgrund der Masse der zuzustellenden Sendungen kaum daran erinnern. Man kann den Fall noch weiterspinnen:
Das Fitnessstudio gibt jetzt zu, dass es bereits am 30.04. Post von A erhalten hat. In dem Kuvert sei aber nur ein leeres Blatt Papier gewesen und keine Kündigungserklärung.
Auch in diesem Fall hat A schlechte Karten. Er muss beweisen, das X die Kündigungserklärung erhalten hat, was dieser bestreitet. A bräuchte also beispielsweise eine Zeugin oder einen Zeugen, die/der gesehen hat, dass A das Kündigungsschreiben in das Kuvert gesteckt hat und diesen Brief zur Post aufgegeben hat.
Tipps: Wie kann man den Zugang einer Erklärung nachweisen?
Obige Beispiele zeigen, wie schnell der Zugang einer Erklärung zwischen zwei Vertragsparteien zum Streit führen kann. Deshalb sollte man bei der Abgabe wichtiger(!) Erklärungen, wie zum Beispiel einer fristgerechten Kündigung unbedingt darauf achten, dass man auch deren Zugang nachweisen kann. Hierfür bieten sich folgende Möglichkeiten an:
- Persönliche Übergabe mit Zeug/-innen
Selbst wenn eine Schriftform für die Erklärung nicht vorgesehen ist, empfiehlt es sich, ein entsprechendes Schreiben aufzusetzen. Dieses sollte man dem/der Empfänger/-in unter Beisein eines Zeugen oder einer Zeugin übergeben. Auf diese Weise lässt sich der Zugang einer Willenserklärung einwandfrei nachweisen. Es ist auch möglich, das Schreiben dem Zeugen oder der Zeugin auszuhändigen, damit diese/-r es persönlich übergibt.
- Einschreiben/Rückschein
Müssen größere Distanzen überwunden werden, so empfiehlt es sich, die Erklärung per Einschreiben mit Rückschein zu versenden. In diesem Fall muss der/die Empfänger/-in auf dem Rückschein quittieren, dass er/sie das Einschreiben erhalten hat. Dennoch sollte man Zeug/-innen dafür haben, dass in dem Kuvert auch das entsprechende Schreiben enthalten war. Am besten bittet man also jemanden, das Schreiben in das Kuvert zu stecken und bei der Post aufzugeben. Das Problem bei dieser Versandart ist, dass der/die Empfänger/-in die Annahme des Einschreibens verweigern kann. In diesem Fall liegt kein wirksamer Zugang vor.
- Einwurfeinschreiben
Als Alternative empfiehlt sich deswegen bei hartnäckigen Vertragspartner/-innen das Einwurfeinschreiben. Bei dieser Art der Zustellung vermerkt der Postbote oder die Postbotin auf einer Urkunde Datum und Uhrzeit des Einwurfs in den Briefkasten und bestätigt dies mit Unterschrift. Mit dieser Urkunde sollte ein Zugangsnachweis möglich sein, wobei hier wiederum die Verkehrsanschauung zu beachten ist. Muss eine Frist eingehalten werden, so kommt es bei Wochenend- und Feiertagen in der Regel erst zu einem Zugang am nächsten Werktag. Auch bei einem Einwurfeinschreiben empfiehlt es sich jedoch wie beim Einschreiben mit Rückschein, einen Zeugen oder eine Zeugin dafür zu haben, dass das entsprechende Schreiben in das Kuvert gegeben wurde.
- Mehrfache Versendung
Nur wenn von dem Zugang der Willenserklärung wichtige Rechtsfolgen abhängen, sollte man sich der oben beschriebenen Formen bedienen. Eine gute Möglichkeit, Vertragspartner/-innen, die den Zugang bestreiten "den Wind aus den Segeln zu nehmen", besteht darin, Schriftverkehr parallel auf verschiedenen Wegen zu versenden, z. B. vorab per Fax (Sendebericht aufheben), dann mit der Post und zusätzlich per E-Mail. Wer dann noch bestreitet, ein Schreiben erhalten zu haben, wird irgendwann unglaubwürdig. Allerdings: Einen echten Zugangsnachweis erhält man damit nicht.
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