Vertrag anfechten: Gründe, Voraussetzungen, Fristen
Von: Verbraucherzentrale Bayern
In diesem Beitrag finden Sie
- Rechtsnatur
- Voraussetzung für eine Anfechtung
- Anfechtungsgründe
- Anfechtungsfrist
- Anfechtungserklärung
- Kein Ausschluss der Anfechtung
- Wirkung der Anfechtung
Was bedeutet "Anfechtung" eines Vertrages rechtlich?
Die Anfechtung ist eine so genannte rechtsvernichtende Einwendung. Durch die Anfechtung ist das wirksam zustande gekommene Rechtsgeschäft, wie beispielsweise ein Kaufvertrag, von Anfang an als nichtig anzusehen. Das bedeutet, dass der Vertrag so zu behandeln ist, als hätten die Parteien diesen nie abgeschlossen.
Die Anfechtung muss durch entsprechende Erklärung gegenüber dem*der Vertragspartner*in geltend gemacht werden. Damit ein Vertrag wirksam angefochten werden kann, müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein.
Voraussetzung für eine Anfechtung
Zunächst muss ein Anfechtungsgrund vorliegen. Weiter muss die Anfechtung unter Einhaltung einer bestimmten Frist erklärt werden und es darf kein Ausschlussgrund vorliegen.
Anfechtungsgründe
Das BGB kennt folgende Anfechtungsgründe, die in den §§ 119, 120 und 123 BGB geregelt sind:
- Irrtumsfälle
- arglistige Täuschung
- widerrechtliche Drohung und
- unrichtige Übermittlung
Irrtumsfälle bei Anfechtung
Wann ein Irrtum zu einer Anfechtung berechtigt, ist auch unter Jurist*innen in vielen Fällen äußerst umstritten. Unterschieden werden im Wesentlichen
- der Inhaltsirrtum,
- der Erklärungsirrtum,
- der Motivirrtum und
- der Berechnungs- oder Kalkulationsirrtum.
Der Inhaltsirrtum: Wenn die Erklärung "unklar" ist
Ein Inhaltsirrtum liegt dann vor, wenn der*die Erklärende bewusst und gewollt handelt, ihm*ihr aber nicht klar ist, welche Bedeutung die Erklärung hat. Kurz: „Der*die Erklärende weiß was er*sie sagt, er*sie weiß aber nicht, was er*sie damit konkret sagt.“
Beispiel: Verbraucher V möchte beim Autohändler U ein Auto kaufen. Er sagt zum Händler: „Ich möchte das Auto hinten im Hof kaufen". Dabei meint er den schwarzen Mini. Er beachtet dabei nicht, dass es sich bei dem Auto im Hof mittlerweile um einen schwarzen Opel handelt.
Der Erklärungsirrtum: Wenn man sich verschreibt
Ein Erklärungsirrtum liegt vor, wenn sich der*die Erklärende verspricht, vergreift oder verschreibt. Das Erklärte entspricht nicht dem Willen des*der Erklärenden.
Beispiel: Unternehmerin U will der Verbraucherin V ein schriftliches Angebot für die Reparatur einer antiken Uhr für 530 Euro unterbreiten. U verschreibt sich hierbei und schreibt statt 530 Euro irrtümlich 350 Euro. V nimmt das Angebot an.
Der Motivirrtum: Nur in Ausnahmen anfechtbar
Ein Motivirrtum ist grundsätzlich unbeachtlich und somit auch nicht anfechtbar.
Beispiel: Der Juwelier J bietet der Verbraucherin V einen alten Ring für 50 Euro an. Tatsächlich ist der Ring aber mindesten 500 Euro wert. Hätte J das gewusst, hätte er den Ring nicht an V verkauft bzw. mindestens 500 Euro verlangt.
In Ausnahmsfällen ist auch ein Motivirrtum ein relevanter Anfechtungsgrund. Irrt der*die Erklärende bei der Abgabe einer Willenserklärung über eine verkehrswesentliche Eigenschaft der Person oder der Sache, auf die sich das Rechtsgeschäft bezieht, kann er*sie seine Willenserklärung anfechten. Unter dem Begriff verkehrswesentliche Eigenschaften fallen beispielsweise die Herkunft oder die Beschaffenheit einer Sache, oder die Echtheit bei Kunstwerken. Zu berücksichtigen sind dabei ausschließlich die wertbildenden Faktoren und nicht der Wert der Sache selbst.
Beispiel: Händlerin X verkauft dem Verbraucher V ein Bild. Dieses stammt von einem Künstler namens Y. Neben diesem Y gibt auch einen sehr berühmten Maler namens Y. V kauft das Bild. X glaubt, dass V natürlich weiß, dass es sich bei dem Bild und vor allem bei dem Preis des Bildes nicht um ein Werk des berühmten Malers Y handelt. V weiß dies hingegen nicht. Er erfährt erst im Nachhinein, dass sein Bild zwar auch von einem Maler namens Y, nicht hingegen vom berühmten Y stammt.
Der Berechnungsirrtum: Rechenfehler im Angebot
Ein Berechnungs- oder Kalkulationsirrtum ist grundsätzlich als unbeachtlicher Motivirrtum einzuordnen und damit nicht anfechtbar. Davon gibt es allerdings ebenfalls Ausnahmen. Eine Anfechtung kommt beispielsweise dann in Betracht, wenn die Kalkulation dem*der Vertragspartner*in bekannt und auch Gegenstand der Vertragsverhandlungen war.
Beispiel: Der Handwerker H unterbreitet Verbraucherin V ein schriftliches Angebot für das Streichen von Fenstern. Pro Fenster veranschlagt er einen Pauschalpreis von 25 Euro. Insgesamt sind 21 Fenster von außen neu zu streichen. Er errechnet einen Gesamtpreis von 300 Euro, anstatt des richtigen Ergebnisses von 525 Euro. Hier ist H berechtigt seine Erklärung anzufechten. Es liegt ein Kalkulationsirrtum vorliegt. Der Rechenfehler tritt hier bereits aus dem Angebot deutlich zu Tage. Anders wäre der Fall zu beurteilen, wenn H seine Kalkulationsgrundlage nicht offen gelegt hätte. Hätte er seine Malerarbeiten pauschal für 300 Euro angeboten, weil er sich selber beim Ausrechnen vertippt hat (statt 25 mal 21 hat er 25 mal 12 gerechnet), so läge ein unbeachtlicher Motivirrtum vor. Dieser würde H nicht zur Anfechtung berechtigen.
Der*die Anfechtende muss beweisen, dass ein Irrtumsgrund, der zur Anfechtung rechtfertigt, vorliegt und er die Erklärung bei verständiger Würdigung nicht abgegeben hätte.
Vertragslösung wegen arglistiger Täuschung
Für die Praxis von Bedeutung ist die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung. Oft werden bei einer solchen Täuschung auch Betrugsdelikte verwirklicht. Das Verhalten ist dann auch strafrechtlich relevant. Eine arglistige Täuschung setzt voraus, dass die Täuschung zum Zweck der Erregung oder Aufrechterhaltung eines Irrtums erfolgte. Das arglistige Verhalten erfordert Vorsatz. Der Handelnde muss die Unrichtigkeit seiner Angaben kennen oder für möglich halten.
Beweisen muss die Arglist allerdings der*diejenige, der*die die Anfechtung erklären möchte. Dies bereitet in der Praxis häufig Schwierigkeiten.
Beispiel: Gebrauchtwagenhändlerin U verkauft ein Fahrzeug an den Verbraucher V als unfallfrei. Anlässlich einer umfangreichen Wartungsarbeit stellt sich nach dem Kauf heraus, dass das Fahrzeug erhebliche Vorschäden durch Unfälle aufweist. Dies war U bekannt.
Vertragslösung wegen widerrechtlicher Drohung
In der Praxis kommt eine Anfechtung wegen widerrechtlicher Drohung eher selten vor. Unter einer Drohung ist das Inaussichtstellen eines künftigen Übels zu verstehen. Sie muss den*die Erklärende*n in eine Zwangslage versetzen. Ein künftiges Übel kann hier jeder Nachteil sein.
Beispiel: X droht Y mit Schlägen, falls diese*r nicht das stark beschädigte und sehr alte Motorrad von X kauft. Y willigt in den Kaufvertrag ein.
Auch hier gilt: wer wegen einer widerrechtlichen Drohung die anfechten möchte, muss ihr Vorliegen beweisen können.
Falsche Übermittlung
Ein Fall der unrichtigen Übermittlung liegt vor, wenn man sich zur Übermittlung einer Willenserklärung zum Beispiel eines Botendienstes bedient. Dabei übermittelt der*die Bote*in die Willenserklärung unbewusst falsch. Der*die Erklärende kann diese dann anfechten, sofern er*sie die Willenserklärung so nie abgegeben hätte.
Beispiel: Verbraucherin A beauftragt ihren Sohn S 100 Bücher zu bestellen. S bestellt aber 1000 Bücher. A kann hier wegen falscher Übermittlung anfechten.
Der*die Anfechtende muss auch hier wieder beweisen, dass ein Irrtumsgrund vorliegt.
Fristen der Übermittlung
Die Anfechtung hat bei Irrtumsfällen und in Fällen der unrichtigen Übermittlung unverzüglich nachdem der Anfechtungsberechtigte Kenntnis von dem Anfechtungsgrund erlangt hat, zu erfolgen. Geregelt ist dies in § 121 BGB. Bei einer Anfechtung wegen arglistiger Täuschung oder widerrechtlichen Drohung muss der*die Anfechtungsberechtigte die Anfechtung innerhalb eines Jahres erklären. Im Falle der arglistigen Täuschung beginnt diese Frist mit dem Zeitpunkt, zu dem der*die Anfechtungsberechtigte Kenntnis von der Täuschung erlangt hat und im Fall der widerrechtlichen Drohung zu dem Zeitpunkt, zu dem die Zwangslage aufgehört hat.
Die Anfechtungserklärung
Der Anfechtung muss gegenüber dem*der Vertragspartner*in erklärt werden. Auf das Wort Anfechtung kommt es dabei nicht an. Es genügt, wenn sich aus der Erklärung ergibt, dass der*die Anfechtungsberechtigte nicht mehr an seiner*ihrer ursprünglichen Erklärung festhalten möchte.
Kein Ausschluss der Anfechtung
Ferner darf die Anfechtung nicht ausgeschlossen sein. Dies wäre zum Beispiel dann der Fall, wenn das zur Anfechtung berechtigte Geschäft von der*dem Anfechtungsberechtigten bestätigt worden ist.
Gegner*in kann Schadensersatzansprüche geltend machen
Durch die Anfechtung gilt das abgeschlossene Geschäft rückwirkend als nicht zustande gekommen. Der*die Anfechtungsberechtigte muss jedoch bedenken, dass bei einer wirksamen Anfechtung der*die Anfechtungsgegner*in möglicherweise einen Schadensersatzspruch geltend machen kann. Der*die Anfechtende hat die Pflicht, den Schaden zu ersetzen, welcher dem*der Vertragspartner*in entstanden ist, indem diese*r auf den geschlossenen Vertrag vertraut hat.
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