Pflichtverletzung bei Verträgen: Welche Arten gibt es?
Von: Verbraucherzentrale Bayern e.V.
In diesem Beitrag finden Sie
- Leistungsbezogene und nicht leistungsbezogene Pflichten
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Verletzung leistungsbezogener Pflichten
- Unmöglichkeit
- Schlechtleistung
- Verspätete Leistung
- Nichtleistung
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Verletzung nicht leistungsbezogener Pflichten
- Vor Vertragsschluss
- Nach Vertragsschluss
Bereits im römischen Recht galt der Grundsatz "pacta sunt servanda". Verträge sind einzuhalten. Das macht Sinn: Ohne die berechtigte Erwartung, dass ein gegebenes Versprechen auch eingehalten wird, wäre jeder Vertragsschluss sinnlos. Bei Verbraucherverträgen lautet das Versprechen des Verbrauchers oder der Verbraucherin fast immer: "Ich bezahle". Das Versprechen des Unternehmers bzw. der Unternehmerin kann vielfältiger sein, je nachdem, ob ein Kauf-, Werk-, Dienst- oder sonstiger Vertrag zugrunde liegt.
Leistungsbezogene und nicht leistungsbezogene Pflichten
Unterschieden wird zwischen leistungsbezogenen und nicht leistungsbezogenen Pflichten. Erstere stehen in direktem Zusammenhang mit der vertraglich geschuldeten Leistung. Letztere meinen Schutz- und Obhutspflichten, die sozusagen um die eigentliche Vertragsbeziehung "herumgestrickt" sind.
Beispiel: B besucht das Geschäft der Antiquitätenhändlerin A. Er interessiert sich für einen antiken Stuhl im Schaufenster von A.
Variante 1: Beide verhandeln über den Preis. Als sich B zur Probe auf den Stuhl setzt, bricht der Stuhl zusammen und B verletzt sich so schwer, dass ein Arztbesuch notwendig wird.
Wenn B nun von A Ersatz der Behandlungskosten verlangt, so stützt er sich auf die Verletzung einer nicht leistungsbezogenen Pflicht. Aus dem Kaufvertrag ergibt sich nur die Verpflichtung von A zur mangelfreien Übereignung des Stuhls. Die Verletzung von B beruht aber darauf, dass A den Stuhl nicht ordnungsgemäß untersucht hat, bevor sie ihn zum Verkauf angeboten hat. Sie hat somit Schutzpflichten gegenüber B verletzt.
Variante 2: A und B werden sich handelseinig und B kauft den Stuhl für 200 Euro. Es wird vereinbart, dass B den Stuhl am nächsten Morgen abholt. In der Nacht stiehlt eine Einbrecherin den Stuhl.
A kann den Stuhl nun nicht mehr an B übereignen, weil sie ihn nicht mehr hat. Dadurch verletzt sie eine leistungsbezogene Pflicht aus dem Kaufvertrag. Ob und welche Ansprüche B zustehen, hängt freilich davon ab, inwieweit A für den eingetretenen Umstand zur Verantwortung gezogen werden kann.
Verletzung leistungsbezogener Pflichten
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Nichtleistung
Eine leistungsbezogene Pflichtverletzung liegt vor, wenn eine der beiden Vertragsparteien nicht leistet, obwohl sie die Möglichkeit dazu hat. In diesem Fall kann der/die Vertragspartner/-in die Leistung bei Gericht einklagen. Ein Gerichtsverfahren nimmt viel Zeit in Anspruch, kann zu erheblichen Kosten führen und ist nicht von jedem gewollt.
Es stellt sich dann die Frage, unter welchen Voraussetzungen man sich von dem geschlossenen Vertrag lösen kann und ob man gegebenenfalls weitergehende Ansprüche wie z. B. Schadensersatzansprüche stellen kann.
Mehr zum Thema: Das Ausbleiben der Leistung (Nichterfüllung) im Vertrag
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Unmöglichkeit
Sie liegt im Falle der Nichtleistung immer dann vor, wenn entweder der/die Schuldner/-in oder niemand mehr den Vertrag erfüllen kann.
Beispiel: Kfz-Händlerin U verkauft an Verbraucher V einen Gebrauchtwagen für 5000 Euro. Beide vereinbaren, dass das Fahrzeug am folgenden Tag von V abgeholt werden soll. V leistet eine Anzahlung von 1000 Euro. Am Abend findet eine Demonstration statt, die auch am Gelände von U vorbeiführt. Die Demonstrant/-innen liefern sich eine Straßenschlacht mit der Polizei. Im Zuge dieser Auseinandersetzungen landet ein Molotow-Cocktail unter dem verkauften Pkw. Das Fahrzeug fängt Feuer und verbrennt. Am nächsten Tag möchte V das Auto abholen.
U steht vor dem Problem, dass sie den mit V geschlossenen Kaufvertrag nicht mehr erfüllen kann. Das Fahrzeug ist zerstört und kann deswegen nicht mehr an V übereignet werden. Es liegt eine Leistungsstörung vor und es stellen sich folgende Fragen: Muss V den restlichen Kaufpreis bezahlen? Kann V die Anzahlung zurückfordern? Kann V Schadensersatz verlangen, wenn er einen ähnlichen Gebrauchtwagen nur für 5.500 Euro bei einem/einer anderen Händler/-in erwerben kann? Können sich V bzw. U von dem geschlossenen Vertrag lösen?
Mehr zum Thema: Rechte bei Unmöglichkeit der Leistung
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Schlechtleistung
Ein weiterer Fall einer leistungsbezogenen Pflichtverletzung stellt die mangelhafte Leistung dar. Dies ist immer dann der Fall, wenn die tatsächliche Beschaffenheit der Leistung von der Beschaffenheit abweicht, die sie eigentlich hätte haben sollen, weil die Beschaffenheit von den Parteien vertraglich vereinbart wurde oder es bei einer solchen Leistung üblicherweise so zu erwarten ist. Bei Sach- oder Rechtsmängeln greift bei Kauf- oder Werkverträgen die in diesen Vorschriften jeweils geregelte Mängelhaftung. Auch im Reiserecht findet sich eine Haftung des Reiseveranstalters für Reisemängel.
Beispiel: Der Kfz-Händler U verkauft an Verbraucherin V einen Gebrauchtwagen für 5.000 Euro als "unfallfrei". Nach einer Woche beschädigt V den Unterboden des Fahrzeugs, nachdem sie im Wald über eine Wurzel gefahren ist. Sie wendet sich deswegen an die Werkstatt des K. Im Rahmen der Untersuchung des Fahrzeugs stellt K fest, dass der Wagen an zahlreichen Stellen ausgebessert wurde und außerdem der Rahmen verzogen ist. Das Fahrzeug muss deswegen eine Reihe von Unfällen gehabt haben.
V möchte nun natürlich ihre Rechte gegen U geltend machen. Dabei bieten sich mehrere Möglichkeiten an. V könnte vielleicht den Kaufpreis mindern oder vom Vertrag zurücktreten. Oder muss sie U eine Möglichkeit zur Nachbesserung einräumen? Erhält V im Falle des Rücktritts den kompletten Kaufpreis oder kann U sich darauf berufen, dass V das Fahrzeug beschädigt hat?
Mehr: Nacherfüllungsanspruch bei Schlechtleistung im Vertrag
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Verspätete Leistung
Häufig kommt es in der Praxis vor, dass eine Leistung verspätet erfolgt. Was ist, wenn ein/-e Verkäufer/-in die Ware nicht termingerecht liefert? Oder umgekehrt: Was passiert, wenn ein/-e Verbraucher/-in die Rechnung verspätet bezahlt? Alle diese Fragen drehen sich um den Verzug des Schuldners oder der Schuldnerin.
Mehr: Verzug des Schuldners/der Schuldnerin
Verletzung nicht leistungsbezogener Pflichten
Bei der Verletzung nicht leistungsbezogener Pflichten unterscheidet man danach, ob die Verletzung vor oder nach Vertragsschluss erfolgte.
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Vor Vertragsschluss
Auch wenn zwischen den Parteien noch gar kein Vertrag geschlossen wurde, kann bereits ein Schuldverhältnis mit Rechten und Pflichten entstehen. Man spricht von einem vorvertraglichen Schuldverhältnis. Hier kann auf das oben bereits genannte Beispiel mit dem antiken Stuhl Bezug genommen werden, als sich B beim Ausprobieren des Stuhls verletzt. Ein Kaufvertrag ist zwischen den Parteien noch gar nicht zustande gekommen. Dennoch kann sich B unter Umständen darauf berufen, dass A (vor)vertragliche Pflichten verletzt hat. Man steckte hier in den Vertragsverhandlungen hinsichtlich des Kaufs des Stuhls. Hieraus können Schadensersatzansprüche resultieren.
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Nach Vertragsschluss
Nicht leistungsbezogene Pflichten werden häufig erst nach Vertragsschluss verletzt. Auch hierdurch können Ansprüche entstehen. Meist handelt es sich dabei um Schadensersatzansprüche.
Beispiel: Verbraucher V kauft bei dem Möbelunternehmen U ein Bücherregal. Das Bücherregal wird zwei Tage darauf geliefert und von Mitarbeitern des U aufgebaut. Beim Aufbau stößt ein Mitarbeiter versehentlich gegen eine am Boden stehende kostbare chinesische Vase, sodass diese zerstört wird.
Diesen Schaden kann V wegen Verletzung einer nicht leistungsbezogenen Pflicht von U ersetzt verlangen. Die Mitarbeiter/-innen des U hätten beim Aufbau des Regals auf das Eigentum des V mehr Rücksicht nehmen müssen.
Im Regelfall haben Verbraucher/-innen durch die Verletzung von Vertragspflichten durch den/die Unternehmer/-in einen Anspruch auf Schadensersatz. Dies hängt jedoch immer vom Einzelfall ab. Erdenklich sind auch Ansprüche auf Minderung, Nacherfüllung und Rücktritt vom Vertrag.
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