Was bedeutet der Brexit für Verbraucher? Hintergrundinformationen
Von: Referat 32
In diesem Beitrag finden Sie
- Online-Handel
- Versicherungsrecht
- Girokonten-Verträge und Darlehensverträge
- Einlagensicherung
- Pauschalreisen
- Fluggastrechte
- SEPA-Zahlung
- Internationale Zuständigkeit, Anerkennung und Vollstreckung
Brexit und Online-Handel
Richten britische Unternehmen ihre Tätigkeit auf Deutschland aus, etwa indem sie ihre Webseite in deutscher Sprache verfügbar machen, gilt jedenfalls vor deutschen Gerichten nach Art. 6 Abs. 1 Rom-I-VO das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des Verbrauchers. Da die Rom-I-VO gemäß ihrem Art. 2 auch nach dem Brexit im Verhältnis zu Großbritannien noch Anwendung findet, gilt somit für Verbraucherverträge von Verbrauchern mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland deutsches Recht. Art. 6 Abs. 2 S. 2 Rom-I-VO sorgt dafür, dass auch bei anderslautender Rechtswahl ein gleichwertiges Schutzniveau zu gewährleisten ist.
Richten britische Unternehmen ihre Tätigkeit nicht auf Deutschland aus, ist in der Regel das anzuwendende Recht des Staates, an dem der Sitz des Unternehmens ist, also britisches Recht, maßgebend. Da das Verbraucherrecht weitestgehend durch europäische Vorgaben geprägt ist, gewährt auch das britische nationale Verbraucherrecht ein den europäischen Standards entsprechendes Schutzniveau. Sollte Großbritannien das dort geltende nationale Gewährleistungsrecht nicht mehr beibehalten, können sich Abweichungen von den europäischen Vorgaben ergeben, da diese bei einem Austritt für Großbritannien nicht mehr verbindlich sind. Das 14-tägige Widerrufsrecht oder das Recht der Mängelgewährleistung könnten theoretisch im britischen nationalen Recht geändert werden.
Waren, die aus dem Vereinigten Königreich in das Zollgebiet der EU verbracht werden, unterliegen bei einem ungeregelten Brexit der zollamtlichen Überwachung und können gemäß der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Rates vom 9. Oktober 2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union Zollkontrollen unterzogen werden. Dies bedeutet unter anderem, dass Zollkosten anfallen können.
Brexit und Versicherungsrecht
Rechtlicher Hintergrund: Britische Versicherungen nutzen in der Regel das aufgrund der EU-Richtlinie 2009/138/EG – Solvabilität II mögliche „Single-License-Prinzip“ (oder auch „europäischer Pass“), nach dem ein Versicherer in allen Mitgliedsstaaten tätig werden darf, sobald er in einem EU-Mitgliedsstaat die Erlaubnis dazu erhalten und das Notifikationsverfahren durchlaufen hat.
Bestehenden Policen mit britischen Versicherern, die über den Stichtag hinaus fortlaufen, droht daher grundsätzlich aufgrund des mit dem Brexit einhergehenden Lizenzverlusts ohne ein Austrittsabkommen nachträglich die Nichtigkeit gemäß §134 BGB. Sie könnten dann im Versicherungsfall nicht zur Auszahlung kommen. Aus diesem Grund übertragen viele britische Versicherer ihre Bestände auf europäische, insbesondere irische Tochterunternehmen, um so weiterhin unter EU-Recht zu fallen und den Geschäftsbetrieb fortführen zu können. Dann könnten auch nach dem Stichtag im Versicherungsfall etwaige Auszahlungen vorgenommen werden. Nachteilig bei den geplanten und teilweise bereits durchgeführten Übertragungen auf europäische Tochterunternehmen ist ein möglicher Verlust des Insolvenzschutzes durch die britische Sicherungseinrichtung „Financial Service Compensation Scheme“ (FSFC). Dieser Fonds sichert Ansprüche aus Versicherungsverträgen ohne Obergrenze zu 90% ab. Eine vergleichbare Einrichtung gibt es in Irland nicht.
Regelung durch Brexit-Steuerbegleitgesetz der Bundesregierung
Durch Art. 7 des Brexit-Steuerbegleitgesetzes, der vorsieht, dass über den neuen §66a Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) Zulassungen für britische Versicherungsunternehmen, die über eine Niederlassung oder im Wege des grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehrs im Inland tätig waren, für einen Übergangszeitraum von 21 Monaten entsprechend fortgeführt werden können, soweit dies zur Abwicklung bereits vor dem Stichtag geschlossener Verträge erforderlich ist, sollen inländische Versicherungsnehmer vor Nachteilen durch Vertragsdiskontinuität geschützt werden. Durch das Brexit-Steuerbegleitgesetz, das seit dem 29.3.2019 in Kraft getreten ist, wird die Gefahr der nachträglichen Vertragsnichtigkeit und somit auch der Verlust von Auszahlungsansprüchen deutlich entschärft
Ob Verbrauchern ein Sonderkündigungsrecht für Policen britischer Versicherungsunternehmen zusteht, lässt sich ohne richterliche Entscheidung derzeit nicht eindeutig beurteilen. Vieles spricht aber dafür, dass der Brexit eine – wie von §°313 BGB für das Bestehen eines Sonderkündigungsrechts vorausgesetzt – schwerwiegende nachträgliche Änderung der Vertragsumstände ist. Auch der mögliche Wegfall des Insolvenzschutzes kann als Argument herangezogen werden, dass Verbraucherinnen und Verbrauchern ein Sonderkündigungsrecht zusteht.
Handelt es sich um einen deutschen Versicherer mit britischen Mehrheitseignern, verfügt er über eine deutsche Erlaubnis der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) und behält auch nach dem Brexit seine Marktzulassung.
Girokonten-Verträge und Darlehensverträge
Rechtlicher Hintergrund: In einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraums zugelassene Kreditinstitute sind durch das „Single-License-Prinzip“ (oder auch „europäischer Pass“) grundsätzlich berechtigt, ihr Geschäft entweder über eine Zweigstelle oder im Wege des freien Dienstleistungsverkehrs auch in anderen Mitgliedsstaaten auszuüben. Dieses basiert auf den Artikeln 33 bis 39 der CRD IV (Richtlinie 2013/36/EU), die durch die §24a Kreditwesengesetz (KWG) und §53b KWG in deutsches Recht umgesetzt wurden.
Bei einem ungeregelten Austritt droht den britischen Kreditinstituten somit der Verlust der Erlaubnis ihrer grenzüberschreitenden Tätigkeit. Auch im Bankensektor werden daher Übertragungen an europäische Tochterunternehmen geplant. Da jedoch nicht alle bereits laufenden Verträge übertragen werden können, ist aus Sicht der Verbraucher mit Einschränkungen in der Funktionalität der Dienstleistungen zu rechnen.
Beispielsweise in Pfund Sterling geführte Girokonten-Verträge oder Darlehensverträge, die mit in Großbritannien belegenen Immobilien gesichert sind, müssen weiterhin durch britische Banken verwaltet werden und dürfen nicht übertragen werden. Auch hinsichtlich solcher Dienstleistungen, die auf ein europäisches Tochterunternehmen übertragen und damit fortgeführt werden können, sind Einschränkungen wie z.B. der Wegfall der Debitkartenausgabe oder der Überziehungsfunktion auf einem Währungskonto möglich. Die Europäische Bankaufsichtsbehörde hat die Kreditinstitute aufgefordert, betroffene Kunden zu informieren.
Regelung durch Brexit-Steuerbegleitgesetz der Bundesregierung
Neben den Vorkehrungen der einzelnen Kreditinstitute hat auch die Bundesregierung mit dem Brexit-Steuerbegleitgesetz Maßnahmen für den Fall eines ungeregelten Brexit vorbereitet. So hat mit dessen Inkrafttreten am 29.3.2019 die BaFin in §53b Abs. 12 KWG die Möglichkeit erhalten, britischen Unternehmen, die bislang im Wege der Niederlassungs- oder Dienstleistungsfreiheit in Deutschland tätig waren, im Rahmen einer Ermessensentscheidung unter bestimmten Voraussetzungen für eine Übergangszeit von maximal 21 Monaten die weitere Nutzung des Europäischen Passes zu erlauben, soweit dies zur Vermeidung negativer Folgen für die Funktionsfähigkeit bzw. die Stabilität der Finanzmärkte im Falle eines harten Brexit geboten ist.
Einlagensicherung bei britischen Banken
Hinsichtlich des Einlagenschutzes ändert sich selbst bei einem ungeregelten Austritt für Einlagen bei Banken in Großbritannien aufgrund der Europäischen Einlagensicherung zunächst nichts. Aufgrund der Umsetzung der Richtlinie 2014/49/EU des europäischen Parlaments und des Rates über Einlagensicherungssysteme besteht für Kunden britischer Banken eine Einlagensicherung in Höhe von 85.000 Pfund pro Kunde, die auch nach einem Brexit zunächst bestehen bleibt. Da Großbritannien allerdings mit einem Austritt aus der EU nicht mehr an europäische Vorgaben gebunden ist, könnte Großbritannien künftig grundsätzlich von bisherigem Recht abweichen.
Darüber hinaus sind einige in Deutschland agierende britische Banken auch Mitglieder im Einlagensicherungsfonds des Bundesverbandes Deutscher Banken. Dabei handelt es sich um eine freiwillige Sicherungseinrichtung, deren Sicherungsgrenze pro Kunde 20 Prozent der Eigenmittel der jeweiligen Bank und somit noch deutlich höhere Summen abdeckt. Sofern die gesamten Einlagen eines Kunden nicht über dieser Grenze liegen, sind sie vollständig gesichert.
Im Zusammenhang mit dem Brexit werden einzelne britische Banken ihre Geschäftstätigkeit auf in Deutschland lizenzierte Banken übertragen, um ihre grenzüberschreitenden Tätigkeiten auch weiterhin aufrechterhalten zu können. Dann gilt für die Kundengelder die in §§7, 8 Einlagensicherungsgesetz (EinSiG) geregelte deutsche Einlagensicherung und somit die Deckungssumme von 100.00 Euro durch die Entschädigungseinrichtung deutscher Banken GmbH.
Für Kunden einer britischen Bank mit Sitz in Deutschland ändert sich nichts. Die Einlagen sind weiterhin nach den allgemeinen Regelungen bis zu einer Höhe von 100.000 Euro durch die Entschädigungseinrichtung deutscher Banken GmbH abgesichert.
Pauschalreisen britischer Reiseveranstalter
Basierend auf der Richtlinie (EU) 2015/2302 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen („Pauschalreiserichtlinie“) haben Anbieter von Pauschalreisen unter bestimmten Voraussetzungen für Reisemängel und Insolvenzsicherung einzustehen. So sind in einem EU-27 Mitgliedsstaat niedergelassene Reiseveranstalter gemäß §§651i bis t BGB verpflichtet, Schadensersatz, Mängelgewährleistung, Beistand und Insolvenzsicherung zu leisten. Dasselbe gilt für Reiseveranstalter, die ihren Sitz in Großbritannien haben und in einem Mitgliedstaat Pauschalreisen verkaufen oder zum Verkauf anbieten oder in irgendeiner Weise solche Tätigkeiten auf einen Mitgliedstaat ausrichten, etwa durch Werbung in der betreffenden Sprache oder mittels eines auf den Mitgliedsstaat ausgerichteten Internetauftritts. Das ändert sich auch mit einem ungeregelten Brexit nicht.
Anders ist die Sachlage nur dann, wenn die Pauschalreise bei einem britischen Reiseveranstalter gebucht wurde und ein Ausrichten der Tätigkeit des Reiseveranstalters auf das Wohnsitzland des Anspruchsinhabers zu verneinen ist. Dann gilt nicht deutsches, sondern britisches Internationales Privatrecht, mit der Folge, dass möglicherweise von europäischen Vorgaben abweichendes Reiserecht Anwendung finden kann. In diesen Fällen kann der Abschluss einer zusätzlichen Versicherung sinnvoll sein.
Fluggastrechte
Rechtlicher Hintergrund: Hier gilt bis zum Stichtag die Fluggastrechteverordnung, die für Verbraucher Entschädigung bei Flugverspätungen, -ausfällen und überbuchten Flügen vorsieht. Voraussetzung für die Anwendbarkeit der VO bei Flügen aus Drittstaaten ist nach ihrem Art. 3 eine Betriebsgenehmigung, die nach Art. 4 der Verordnung (EWG) Nr. 2407/92 des Rates vom 23. Juli 1992 über die Erteilung von Betriebsgenehmigungen an Luftfahrtunternehmen von der zuständigen Genehmigungsbehörde eines Mitgliedstaats erteilt wird. Dies erfordert unter anderem, dass sich der Unternehmenshauptgeschäftssitz in diesem Mitgliedstaat befindet.
Bei einem Austritt des Vereinigten Königreiches aus der EU ohne Abkommen gelten britische Airlines nicht mehr als Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft im Sinne der Fluggastrechteverordnung. Sie werden dann im Anwendungsbereich der Fluggastrechteverordnung wie andere Fluganbieter aus Nicht-EU-Staaten behandelt. Für Flüge mit britischen Airlines gilt die Fluggastrechteverordnung somit nur noch, wenn die Airline von einem Flughafen der EU aus startet und nicht mehr - wie bisher - wenn die britische Airline in die EU einfliegt und landet. Nach einem harten Brexit würde das Montrealer Übereinkommen fortgelten, da Großbritannien auch nach seinem Austritt Vertragspartner des Übereinkommens bliebe. Dieses sieht aber nur Schadensersatzansprüche für Tod und Körperverletzung, Gepäck- und Verspätungsschäden vor, nicht aber bei Nichtbeförderung oder Höher- bzw. Herabstufung der Beförderungsklasse oder Flugannullierung.
SEPA-Zahlung
Rechtlicher Hintergrund: Das SEPA-Zahlungssystem ist ein einheitliches europäisches Zahlungssystem, das grenzüberschreitende Zahlungen innerhalb des EWR für Verbraucher erleichtern soll. Rechtsrahmen ist die europäische Zahlungsdienste-Richtlinie, die in deutsches nationales Recht (§§ 675 ff. BGB) umgesetzt worden ist. Danach dürfen Banken beispielsweise für eine grenzüberschreitende SEPA-Überweisung keine höheren Kosten verlangen als für eine inländische Überweisung.
Ist Großbritannien nach dem Brexit kein Mitglied des EWR mehr, könnten für Überweisungen nach Großbritannien oder Zahlungen mit EC-oder Kreditkarten in Großbritannien Gebühren anfallen.
Internationale Zuständigkeit, Anerkennung bzw. Vollstreckung
Erheben Verbraucher mit Wohnsitz in Deutschland Klage gegen Händler mit Sitz in Großbritannien, die ihre gewerbliche Tätigkeit auf Deutschland ausrichten, ergeben sich selbst bei einem ungeregelten Austritt Großbritanniens keine Änderungen für die internationale Zuständigkeit im Vergleich zur bisherigen Rechtslage.
Deutsche Gerichte wenden in diesen Fällen weiterhin die Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen („EuGVO“) an, die es dem Verbraucher erlauben, den Beklagten im Wohnsitzstaat des Verbrauchers zu verklagen. Dies ergibt sich aus Art. 4, 6 Abs.1 und Art. 18 Abs.1 der EuGVO. Auch die Vereinbarung eines abweichenden Gerichtsstandes birgt für den Verbraucher grundsätzlich keine Gefahren, da er durch Art. 19 EuGVO geschützt ist. Sind deutsche Gerichte zur Entscheidung angerufen, wird grundsätzlich auch deutsches internationales Privatrecht, insbesondere die Rom-Verordnungen, Anwendung finden.
Problematisch sind aber die Fragen der Anerkennung und Vollstreckbarkeit von Urteilen mitgliedsstaatlicher Gerichte in Großbritannien, da die Art. 36 und 39 EuGVO von britischen Gerichten nicht mehr angewendet werden müssen. Die Vollstreckung und Anerkennung von Gerichtsentscheidungen der Mitgliedsstaaten richten sich künftig nach den nationalen Vorschriften Großbritanniens.
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