Mutterkorn und Mutterkornalkaloide in Getreide und Mehl
In diesem Beitrag finden Sie
- Mutterkorn und Mutterkornvergiftungen
- Mutterkornalkaloide (Ergotalkaloide)
- Lebensmittelrechtliche Regelungen
- Gehalte an Mutterkorn und Mutterkornalkaloiden im Getreide
Mutterkorn und Mutterkornvergiftungen
Mutterkorn ist die Überwinterungsform des Pflanzenparasiten Claviceps purpurea, der sich in den Fruchtanlagen vieler Gräser entwickelt. Statt des Getreidekorns entsteht ein dunkelgefärbtes Mutterkorn, das aus der Ähre herausragt und die hochgiftigen Mutterkornalkaloide enthält.
Von den Getreidearten werden vor allem Roggen, seltener Triticale (Kreuzung aus Roggen und Weizen), Weizen, Dinkel und Gerste befallen. Auch Futtergräser sind betroffen, ebenso Wildgräser, die als Infektionsquelle eine Rolle spielen können. Wo Roggen in dichter Fruchtfolge angebaut wird, ist Mutterkorn weit verbreitet und tritt abhängig von ungünstigen Witterungseinflüssen in den einzelnen Jahren unterschiedlich häufig auf.
"Mutterkornjahre" sind feucht-kühl während der Blühperiode der Wirtspflanzen. Die Infektionsgefahr kann durch eine Reihe landwirtschaftlicher Maßnahmen verringert werden. Durch den Anbau von Pflanzenarten, welche der Pilz nicht als Wirtspflanze nutzen kann, beispielsweise Blattfrüchte wie Kartoffeln, kann die Verbreitung von Mutterkorn reduziert werden
Vergiftung mit Mutterkorn (Ergotismus) waren vor allem im Mittelalter häufig, nicht selten kam es hierbei auch zu Todesfällen. Damals war Roggen das vorherrschende Brotgetreide, das bei Missernten von einem Viertel bis zur Hälfte aus Mutterkörnern bestehen konnte.
Die Anzeichen einer akuten Mutterkornvergiftung sind Übelkeit, Kopfschmerzen, Krämpfe, Gefühllosigkeit von Armen und Beinen, Gebärmutterkontraktionen und Fruchtabgänge.
Eine Aufnahme von 5-10 g Mutterkorn kann bei entsprechendem Alkaloidgehalt für Erwachsene tödlich sein.
Eine chronische Mutterkornvergiftung führt über Kribbeln der Haut zu starken Muskelkrämpfen (Krampfseuche, Kribbelkrankheit) oder zu brennenden Schmerzen einzelner Gliedmaßen, die später gefühllos werden und aufgrund extremer Verengung der Gefäße sogar absterben können.
Im Mittelalter wurde die Vergiftung mit Mutterkorn unter anderem auch als „Antoniusfeuer“ bekannt. Heutzutage wird dies als Ergotismus bezeichnet. Auch bei Tieren treten Mutterkornvergiftungen in ähnlicher Form auf.
Mutterkornalkaloide (Ergotalkaloide)
Für die stark giftige Wirkung des Mutterkorns sind eine Reihe von verschiedenen Alkaloiden verantwortlich, die sogenannten Mutterkorn- bzw. Ergotalkaloide.
Bislang sind über 50 verschiedene Ergotalkaloide bekannt. Der durchschnittliche Ergotalkaloidgehalt in Mutterkorn liegt zwischen 0,1 % und 0,3 % und ist Schwankungen unterworfen. Ergotalkaloide wurden als Vorstufe bzw. überwiegend als Amide der Lysergsäure identifiziert. Das nicht natürlich vorkommende Rauschgift LSD (Lysergsäurediethylamid) ist ein halbsynthetisches Derivat von Ergotalkaloiden. Wegen der vielfältigen Wirkungen einzelner Mutterkornalkaloide werden diese Substanzen auch biotechnologisch gewonnen und in der Medizin z. B. zur Migränebekämpfung oder als Wehenmittel eingesetzt.
Lebensmittelrechtliche Regelungen
Gilt laut Verordnung (EU) 2023/915 bis zum 30.06.2025 ein Höchstgehalt von 0,5 g/kg. Für die in Bezug auf Mutterkorn weniger anfälligen sonstigen Getreidearten ist der neu eingeführte Höchstgehalt niedriger angesetzt und liegt bei 0,2 g/kg. Auch der Höchstgehalt für Roggen wird nach einer Übergangsfrist ab 01.07.2025 auf 0,2 g/kg abgesenkt. Dies entspricht einem Gewichtsanteil von 0,02 %.
Nach dem Vermahlen des Getreides kann der Gehalt an Mutterkorn aufgrund der Zerkleinerung, in der Regel aber nicht mehr einfach bestimmt werden, sodass dieser Höchstgehalt für verarbeitetes Getreide und Getreideprodukte nicht herangezogen werden kann.
In verarbeiteten Getreide und Getreideprodukten ist daher der analytisch messbare Gehalt an Ergotalkaloiden entscheidend für die lebensmittelrechtliche Beurteilung.
Für die 12 Hauptformen der Ergotalkaloide in Mutterkorn wurden 2022 EU-weit gültige Höchstgehalte eingeführt, die nun in der Verordnung (EU) 2023/915 enthalten sind. Auch hier ist der Höchstgehalt für Roggenkörner und Roggenmehl höher angesetzt (vorübergehend bei 500 µg/kg) als für die anderen Getreidearten Gerste, Weizen, Dinkel und Hafer (150 µg/kg für ganze Körner). Der Höchstgehalt für die Summe der Ergotalkaloide in Roggen wird ab 01.07.2028 auf 250 µg/kg abgesenkt.
Prinzipiell muss gewährleistet sein, dass das Lebensmittel nicht gesundheitsschädlich im Sinne des Artikels 14 Absatz 2 Buchstabe a der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 ist. Daher führt das LGL im Sinne des Verbraucherschutzes bei Proben (Getreide, Getreideerzeugnisse) mit sehr hohen Gehalten an Ergotalkaloiden eine individuelle toxikologische Bewertung durch, um eine mögliche Gesundheitsschädlichkeit beurteilen zu können. Dabei werden die in den Proben ermittelten Gehalte mit toxikologischen Kenndaten wie der akuten Referenzdosis (ARfD) oder der tolerierbaren täglichen Aufnahmemenge (TDI) über Expositionsabschätzungen verglichen und bewertet.
Gehalte an Mutterkorn und Mutterkornalkaloiden im Getreide
Der Befall mit Mutterkorn kann heute durch verschiedene landwirtschaftliche Maßnahmen verringert werden, weitere Möglichkeiten zur Eliminierung von Mutterkorn in Konsumgetreide stehen durch die moderne Mühlentechnik zur Verfügung.
Aus Gründen des gesundheitlichen Verbraucherschutzes sollen alle verfügbaren technologischen Möglichkeiten genutzt werden, damit nur Getreide, das weitgehend frei ist von Mutterkorn, an den Verbraucher gelangt.
Alle Beteiligten der Lebensmittelkette sollten sich daher an die aktuellen Handlungsempfehlungen halten. Landwirte, die Getreide selbst vermarkten und nicht über eine eigene Möglichkeit zur Reinigung von Getreide verfügen, sollten ihr Erntegut bei einer Mühle mit einem geeigneten Reinigungssystem zur Entfernung von Mutterkorn reinigen lassen.
Ausdrücklich gewarnt wird vor dem Verzehr von ungereinigtem Getreide, da dann chronische und akute Vergiftungen nicht auszuschließen sind.
Dennoch finden sich auch heute noch Getreide und Getreideerzeugnisse, die teilweise sehr hohe Gehalte an Ergotalkaloiden aufzeigen und bei denen eine gesundheitsschädliche Wirkung nicht ausgeschlossen werden kann. Die Belastungssituation bei Getreide und Getreideerzeugnissen mit Ergotalkaloiden wird daher auch in Zukunft routinemäßig durch das LGL überwacht.
Quellen und weiterführende Hinweise
- Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), Max Rubner‐Institut, Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel (MRI) et al.; 2023: Handlungsempfehlungen Minimierung von Mutterkorn und Ergotalkaloiden im Getreide
- Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA, 2012) Scientific Opinion on Ergot alkaloids in food and feed. EFSA Journal 10(7):2798.
- Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR); 2023: Bewertung gesundheitlicher Risiken durch Ergotalkaloide in ausgewählten Getreideprodukten, Stellungnahme Nr. 041/2023 vom 25. September 2023
- Joint FAO/WHO Expert Committee on Food Additives (JECFA), Ninety-first meeting (Safety evaluation of certain food additives and contaminants), Virtual meeting, 1–12 February 2021, summary and conclusions, Issued on 5 March 2021
- Verordnung (EU) 2023/915 der Kommission vom 25. April 2023 über Höchstgehalte für bestimmte Kontaminanten in Lebensmitteln und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1881/2006 (ABl. L 119 vom 5.5.2023, S. 103), zuletzt geändert durch Art. 1 VO (EU) 2024/1987 vom 30.7.2024 (ABl. L, 2024/1987, 31.7.2024)
- Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit (ABl. L 31 S. 1), zuletzt geändert durch Art. 1 VO (EU) 2024/908 vom 17.1.2024 (ABl. L, 2024/908, 20.3.2024)
- Weitere Quellen auch beim Beitrag Schimmelpilzgifte (Mykotoxine)
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