Reifenpannenset und -spray oder Reserverad?
Von: Dipl.-Ing. (FH) Hans Sigl - Regierung von Oberbayern, Gewerbeaufsicht
In diesem Beitrag finden Sie
- Grundsätzlicher Nutzen
- Warum sind Reifenpannensets so beliebt?
- Keine dauerhafte Reparatur
- Kein Mittel zur Vorbeugung
- Gesetzliche Bestimmungen
- Mögliche Gefahren beim Einsatz von Reifenpannensprays
Grundsätzlicher Nutzen
Reifenpannen gehören zu den unangenehmsten Begleiterscheinungen des Autofahrens. Nach der Statistik ist die Wahrscheinlichkeit einer Reifenpanne äußerst gering. Durchschnittlich ist es nur alle paar Jahre der Fall, dass ein Reifen beschädigt wird. Aber dieses Risiko ist allgegenwärtig - durch Glasscherben, Nägel, Schrauben oder sonstige scharfe Gegenstände, sowie zuviel Schwung an der Bordsteinkante.
Die Werbung verspricht hier Abhilfe u. a. durch die Verwendung von Reifenpannensets oder –sprays. Der Aufwand für die Behebung einer Reifenpanne ist im Vergleich zur Montage eines Reserverades deutlich schneller, einfacher und sicherer.
Aber nur bei Beachtung der Vorschriften und der Bedienungsanleitung können Reifenpannensets oder –spray eine Hilfe sein. Grundsätzlich sind Reifenpannensets oder –sprays aber nur ein temporärer Notbehelf, um nach einem Reifenschaden die nächste Fachwerkstatt zu erreichen. Andernfalls kann der Versicherungsschutz verloren gehen.
Reifenpannenmittel sind allerdings nutzlos, wenn der Reifen platzt.
Warum sind Reifenpannensets so beliebt?
Für Autofahrer stellen die Reifenpanne und der damit verbundene Radwechsel einen Alptraum dar. Zu Recht - denn viele Unfälle, die auf technische Mängel zurückzuführen sind, werden durch Reifenschäden verursacht. Von zahlreichen Fahrern werden Reifen dennoch als Sicherheitskomponente unterschätzt - ein Viertel aller Autofahrer überprüfen den Luftdruck ihrer Reifen nur ein- bis zweimal im Jahr. Diese Statistik, technische Verbesserungen und die zunehmende Produktvielfalt von Reifenpannensets erklären vielleicht deren zunehmende Beliebtheit.
Zusätzlich geht den Fahrzeugentwicklern das fünfte Rad am Wagen (Ersatzrad) im Weg um. Es verbraucht wertvollen Stauraum und treibt das Gewicht des Autos und somit den Verbrauch in die Höhe. Daher setzen sie bereits verstärkt auf Reifen mit so genannten Notlaufeigenschaften (Run-Flat-Reifen).
Bei vielen Fahrzeugen wird anstatt des Reservereifens jetzt ein Reifenpannenset beigelegt. Durch Reifenpannensets oder –sprays lassen sich beschädigte Reifen mittels Dichtmasse bzw. Dichtfasern und Klein-Kompressoren oder Druckgasen wieder eingeschränkt fahrtüchtig machen.
Keine dauerhafte Reparatur
Es wurde zum Teil aber ohne augenfällige und verständliche Einschränkungen damit geworben, dass Reifen durch Pannenhilfsmittel dauerhaft repariert werden. Hierbei wird teilweise ausgesagt, dass die Verkehrssicherheit des reparierten Reifens technisch voll wiederhergestellt wird und dieser ohne Einschränkungen (in Bezug auf Fahrzeit, zurückgelegte Entfernung und Geschwindigkeit) weiter benutzt werden kann.
Solche Mittel dienen bislang rechtlich nur dazu, Reifen soweit zu reparieren bzw. abzudichten, dass nach einer Panne mit einer dem Schaden entsprechenden, also reduzierten Geschwindigkeit die nächstgelegene Fachwerkstatt erreicht werden kann. Nur ein Fachmann kann dort den Reifen begutachten und den Schaden gegebenenfalls beheben, sofern möglich und zulässig.
Kein Mittel zur Vorbeugung
Ferner wurde damit geworben, dass ein Mittel auch vorbeugend eingesetzt werden kann, so dass Pannen nicht mehr auftreten, weil Reifenschäden umgehend von selbst abgedichtet werden.
Damit erhöht sich die Gefahr, dass der Fahrer Reifenschäden beziehungsweise eine Beschädigung der Karkasse nicht bemerkt. Zusätzlich können Gegenstände, die sich noch im Reifen befinden (z.B. Schrauben, Nägel), bei Fortsetzung der Fahrt weitere Schäden an der Karkasse hervorrufen.
Ein Teil der Werbung, sowie Verbraucherinformationen auf der Verpackung und dem Produkt suggerierten, dass bei Einsatz eines Reifen-Pannensets fast keine Reifenschäden zu befürchten sind. Vertraut ein Autofahrer diesen Aussagen, wird er evtl. zu einer erhöhten Sorglosigkeit oder Risikobereitschaft verleitet.
Regelmäßige (Sicht-) Kontrolle des Reifendrucks
Ein sorgloser Fahrer überprüft den Luftdruck seiner Reifen ohnehin zu selten.
Einen Luftverlust von bis zu 20% kann man bei Gürtelreifen kaum mit bloßem Auge erkennen.
Die Reifendruck-Kontrollsysteme mit Anzeige im Armaturenbrett (bei Druckabfall) stellen somit eine gute Ergänzung dar. Sie entbinden den Fahrer jedoch nicht von seiner rechtlichen (juristischen) Verpflichtung eine Sichtkontrolle am Fahrzeug vor Fahrtbeginn durchzuführen. Der Reifendruck ist auch beim Vorhandensein eines Reifendruck-Kontrollsystems im Fahrzeug regelmäßig zu überprüfen.
Bei einem Reifenschaden entweicht bereits ein Teil der Luft aus dem Reifen bis ein Pannen - Set verwendet wird. Auch bei vorbeugendem Einsatz kann ein nennenswerter Teil der Reifenluft bis zur Abdichtung entweichen. Eine völlige Abdichtung ist ohnehin nur bei kleineren Reifenschäden wie durch Nägel oder Schrauben verursacht möglich - diese stellen jedoch die häufigste Schadensursache dar.
Zu geringer Luftdruck erhöht aber nicht nur Verschleiß und Verbrauch, sondern auch das Fahrverhalten des Fahrzeuges ändert sich mit dem zunehmenden Luftverlust des Reifens. Unter dem angeführten Grenzbereich kann die einsetzende Quetsch- und Walkarbeit zusätzlich bis zur Zerstörung des Reifens führen.
Gesetzliche Bestimmungen
Reifen-Pannensets unterliegen dem Produktsicherheitsgesetz - ProdSG, das dazu beitragen soll, dass nur sichere Verbraucherprodukte auf dem Markt bereitgestellt werden. Ein Produkt ist nur sicher, wenn davon bei bestimmungsgemäßer oder zu erwartender, also vorhersehbarer Verwendung die Sicherheit und Gesundheit von Personen nicht gefährdet wird.
Die hierfür benötigten Informationen und Warnhinweise müssen auch in der Gebrauchs- und Bedienungsanleitung enthalten sein.
Des Weiteren sind bei der Verwendung die allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen zu beachten und einzuhalten, nämlich die Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) und die zugehörigen Richtlinien.
Diese besagen, dass die Reparatur eines Reifens ein relevanter Eingriff in ein wesentliches Sicherheitsteil am Fahrzeug ist und daher die Beurteilung, ob ein Reifen noch zu reparieren ist oder nicht, ebenso ausschließlich einem hierfür ausgebildeten Fachmann zu überlassen ist, wie die Ausführung der Reparatur selbst.
Sie besagen ferner, dass ein Pannenhilfsmittel ein temporärer Notbehelf nach eingetretenem Reifenschaden für eine begrenzte Mobilitätssicherung ist.
Vorgenannte Festlegungen stehen im klaren Widerspruch zu mancher Werbung und teilweise im Widerspruch zu den Verbraucherinformationen auf Verpackung und Produkt einiger Hersteller, da gemäß den gesetzlichen Bestimmungen bei Kenntnis eines Reifenschadens eine Fachwerkstatt aufzusuchen ist.
Nach geltender Rechtslage führt das wissentliche Fortsetzen der Fahrt ohne das unverzügliche Aufsuchen einer Werkstatt zum Verlust der Zulassung des Reifens und damit zum Erlöschen der Betriebserlaubnis des Fahrzeugs. Damit entfällt auch der Versicherungsschutz und der Fahrer hat alle daraus resultierenden rechtlichen Konsequenzen zu tragen.
Für das Inverkehrbringen gibt es gesetzliche bindende Vorschriften für alle Marktakteure. Rechtlich sind damit Hersteller, Importeure, Händler und Verbraucher in der Pflicht.
Das seit 01.12.2011 geltende ProdSG verpflichtet Hersteller nicht nur zu einem großen Maß an Weitblick für die sichere Verwendung eines Produktes, sondern z.B. auch zur Überprüfung, ob das Produkt und die Angaben für eine gefahrlose Verwendung im Einklang mit den bestehenden gesetzlichen Bestimmungen sind.
Händler mit Ihren Fachverkäufern haben die Verbraucher ebenfalls auf die mit einem Produkt verbundenen möglichen Gefahren und Verwendungseinschränkungen hinzuweisen und dazu beizutragen, dass nur sichere Verbraucherprodukte in Verkehr gebracht werden.
Ein namhafter deutscher Automobilhersteller wählt den goldenen Mittelweg. Es wird ein Reifen-Pannenset als Grundausstattung zum Fahrzeug - mit der Einschränkung damit nur bis zur nächsten Werkstatt zu fahren - mitgeliefert.
Mögliche Gefahren bei Einsatz von Reifenpannensprays
In der Vergangenheit wurden bei Reifenpannensprays als Treibmittel auch hochentzündliche Gase wie z.B. Butan/Propan eingesetzt. Hierdurch haben sich bereits mehrere sehr schwere Arbeitsunfälle durch Brand und Explosion in Reifenreparaturwerkstätten ereignet.
Ob bereits alle derzeit im Handel angebotenen Reifenpannensprays nicht brennbare Treibgase enthalten ist nicht abschließend geklärt.
Einige Sprays können bei tiefen Temperaturen ab ca. – 20°C nicht mehr die volle Druckleistung erbringen oder evtl. gar nicht mehr funktionieren. Durch extreme Außentemperarturen kann sich das Butan/Propan-Gemisch verflüssigen und das Treibgas gelangt nicht mehr in den Reifen.
Beachten Sie hierzu unseren VIS-Artikel „Brand - gefährlich: Spraydosen“.
- Voraussetzung für den sicheren Betrieb bleiben die vom Fahrzeughersteller unter Berücksichtigung der Belastung vorgeschriebenen Reifendrücke. Diese sind entsprechend der Empfehlung des Reifenherstellers regelmäßig zu kontrollieren. Bei der Überprüfung des Luftdrucks kann auch die vom Reifenhersteller empfohlene Sichtkontrolle der Reifen durchgeführt werden.
- Der Einsatz von Reifenpannenset oder –Spray ist der aufgesuchten Fachwerkstatt vor der Reparatur bzw. dem Austausch des Reifens unbedingt mitzuteilen um einen erhöhten Arbeitsaufwand und eventuellen Arbeitsunfall zu vermeiden.
Verbrauchertipp
Sofern dies dem Anwender bei der Verwendung von Reifenpannensets oder –Spray bewusst ist und er es zu seiner eigenen und der Sicherheit Anderer berücksichtigt, stellt ein Reifenpannenset oder –spray eine wertvolle Hilfe und keine zusätzliche Gefahr dar.
- Brand-Gefährlich: Spraydosen
- Einstufung und Kennzeichnung von Chemikalien - "GHS" Global Harmonisiertes System
- Gefahren-Piktogramme nach GHS-Verordnung (CLP)
- Auto-Starthilfe, korrekter Umgang mit den roten und schwarzen Kabeln
- Kleine Reifen(kennzeichnungs-)kunde
- Mobil bei Eis und Schnee - mit Schneeketten ein Kinderspiel
- Bayerische Gewerbeaufsicht
- Unfallratgeber: Für den Ernstfall vorbereitet
Der Freistaat Bayern stellt Ihnen auf dieser Website unabhängige, wissenschaftsbasierte Informationen zum Verbraucherschutz zur Verfügung.
Einzelfallbezogene Rechtsauskünfte und persönliche Beratung können wir leider nicht anbieten. Auch dürfen wir Firmen, die sich wettbewerbswidrig verhalten, nicht selbst abmahnen.
Sollten noch Fragen zu Ihrem konkreten Sachverhalt verbleiben, wenden Sie sich bitte an die unter Service genannten Anlaufstellen.