Netzneutralität: Freie Datenübermittlung oder Diskriminierung?
Von: Andrea Estermeier, VerbraucherService Bayern im KDFB e. V.
In diesem Beitrag finden Sie
- Hintergrund
- Netzneutralität versus Netzwerkverwaltung?
- Lösungsansätze
- Fazit
Hintergrund: Infrastruktur im Netz wird immer wichtiger
Den Gründungseltern des WorldWideWeb, des Internets, so wie wir es heute kennen, war es wichtig, dass sich alle Individuen frei im Netz „bewegen“ konnten. Alle Dienste, zum Beispiel E-Mails, Bilder und Einträge in Netzwerke, sollten unabhängig davon, wer was an wen sendet, gleichberechtigt übermittelt werden.
Mit der massiven Zunahme des Anteils der Internetnutzer/-innen in Deutschland und dem rasanten Anstieg des transportierten Datenvolumens im Internet, wurden jedoch die Infrastrukturanbieter und -dienstleister/-innen vor immer größere Probleme gestellt.
Zum Vergleich: Nach dem aktuellen Cisco Visual Networking Index haben zum Ende des Jahres 2023 zwei Drittel der Weltbevölkerung Zugang zum Internet. Damit sind ungefähr fünf Milliarden Menschen online.
In der Folge wurden einzelne Dienste durch die Anbieter priorisiert. In Einzelfällen kam es auch dazu, dass der Zugang zu bestimmten Diensten oder die Nutzung bestimmter Dienste durch den Provider blockiert wurden.
Netzneutralität versus Netzwerkverwaltung?
Viele Anbieter von Inhalten sowie Verbraucherverbände, propagieren die Netzneutralität, also den gleichberechtigten Transport aller Dienste und Daten im Internet. Ihr Hauptargument ist, dass es ansonsten Einzelnen möglich sei, bestimmte Dienste bewusst zu verzögern oder gar zu blockieren. Dies sei nicht nur mit dem Freiheitsgedanken eines demokratischen Internets unvereinbar, auch seien hier massive Eingriffe in den Wettbewerb denkbar. So könnte sich etwa Provider A entschließen, bestimmte Dienste eines Anbieters B gezielt zu benachteiligen. Würden dann Nutzer/-innen aufgrund dieser Konstellation zu Anbieter C wechseln, könnte dies erhebliche wirtschaftliche Probleme bei Anbieter B hervorrufen. Kritisch wäre dies vor allem bei Diensten, die entweder eine gewisse „Grundgeschwindigkeit“ bei der Netznutzung („Bandbreite“) voraussetzen oder bei denen die Reaktions- beziehungsweise Verzögerungszeiten („Latenzzeit“) von entscheidender Bedeutung sind, wie etwa für Computerspiele.
Anders argumentieren insbesondere die Telekommunikationsanbieter. Sie verweisen auf die immensen Datenmengen, die es tagtäglich zu transportieren gilt und die einer effizienten und effektiven Netzwerkverwaltung bedürfen. Anders sei nicht zu gewährleisten, dass Datenstaus verhindert und eine Grundübertragungsqualität bei allen Datenübermittlungen eingehalten würde. Außerdem weisen sie auf die unterschiedlichen Transportbedürfnisse der zu übermittelnden Daten hin. Ein einfaches Telefongespräch über das Netz müsse anders behandelt werden dürfen als etwa eine komplexe Telemedizindienstleistung.
Ein Problem dabei sei aber, so die Verfechter/-innen der Netzneutralität, dass die Daten im Rahmen einer Netzwerkverwaltung zuvor zwingendermaßen auf ihren Inhalt überprüft werden müssen (sog. „deep-packet-inspection“), denn ansonsten wüssten die Provider nicht, um welche Art von Daten es sich handele. Die Folge könne eine gravierende Beeinträchtigung der Privatsphäre der Nutzer/-innen oder gar Zensur im Internet sein. Hinzu kommt oftmals, dass man Daten nicht würde verschlüsseln dürfen, da in diesem Fall der Provider ja nicht „nachsehen“ kann, was er da befördern (und gegebenenfalls bevorzugen) soll.
Beide Seiten sind sich jedoch einig, dass auf jeden Fall massiv in den Breitbandinfrastrukturaufbau investiert werden müsse. Die kommenden Anwendungen und interaktiven Dienste ließen ein Datenaufkommen erwarten, das mit der bestehenden Infrastruktur bei weitem nicht zu bewältigen sei. Allein bei der Nutzung von Video-on-demand-Diensten wie etwa Netflix sind bereits jetzt immense Wachstumsraten zu verzeichnen. Hinzu kommt, dass immer mehr Menschen die Filme hier in „HD“ sehen wollen, deren Übertragung das Datenvolumen um ein Vielfaches steigert.
Lösungsansätze
Die Argumente beider Seiten sind einleuchtend und stichhaltig. Einerseits ist anzuerkennen, dass die enorme Innovationskraft des Netzes und die Vielfalt der dort vertretenen Anwendungen und Dienste in der Offenheit und grundsätzlichen Chancengleichheit aller Angebote begründet liegen. Auch ist nicht von der Hand zu weisen, dass die - rein theoretisch mögliche - Beeinflussung der Netzströme durch einzelne Anbieter sowie die mit der notwendigen deep-packet-inspection verbundene Gefahr des Verlusts der Privatsphäre bei vielen Unbehagen auslöst.
Andererseits sind auch die Begründungen der Befürworter/-innen einer Netzwerkverwaltung beziehungsweise eines Netzwerkmanagements plausibel. In Anbetracht der nach wie vor begrenzten Ressource Netzkapazität vermag es gerade nicht zu überzeugen, dass die Chat-Verabredung für einen Kinobesuch gegenüber der hochkomplexen Telemedizinanwendung mit unter Umständen lebensrettender Bedeutung nicht zurückstehen soll. Es handelt sich bei der bewussten Verzögerung in der Regel nur um kaum wahrnehmbare Zeiträume im Sekundenbereich. Die Anbieter verpflichten sich zudem oft schon heute, die bestmögliche Übertragung aller Daten im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu erbringen (sog. „Best Effort- Prinzip“).
Fazit: Effektives Netzwerkmanagement und Transparenz
Wenn alle das Netz bestmöglich nutzen wollen, wird man um ein effizientes Netzwerkmanagement nicht herumkommen. Die prognostizierten Wachstumszahlen lassen eher eine Verknappung der Ressource Netzkapazität vermuten als eine Entspannung der Situation. Und das, obwohl die Industrie immer bessere Infrastruktur-Lösungen entwickelt, so dass immer mehr Daten transportiert werden können. Auch Maßnahmen wie das neuere Internet-Protokoll, Version 6 (kurz „IPv6“), werden die Datenübertragungsprobleme nicht vollumfänglich lösen können.
Welche der verschiedenen angedachten oder bereits angebotenen Lösungen (zum Beispiel: Einteilung der Daten in Güteklassen, für die jeweils unterschiedliche Gebühren anfallen) letztlich genutzt wird, kann hier dahinstehen. Wichtig ist, dass das Verfahren dem Nutzer transparent gemacht wird und er die Möglichkeit hat, seine Daten auch auf anderem (besserem) Wege – zum Beispiel durch eine/-n Wettbewerber/-in - befördern zu lassen.
Die Europäische Kommission geht etwa davon aus, dass im Wesentlichen der Wettbewerb unter den Anbietern die Netzneutralität gewährleistet und setzt nur Rahmenbedingungen. Netzbetreiber/-innen dürfen demnach den normalen Datenverkehr nicht willkürlich drosseln oder blockieren, ein „angemessenes Verkehrsmanagement“ ist jedoch zulässig.
Für Spezialdienste wie IPTV (= Fernsehen über das Internet) dürfen aber Mindestqualitätsstandards gesetzt und auch eingehalten werden. In Deutschland kann die Bundesnetzagentur, eine dem Bundeswirtschaftsministerium nachgeordnete Behörde, in konkreten Einzelfällen eingreifen, wenn Datenflüsse willkürlich gedrosselt oder sonst wie behindert werden.
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